Der Bär und das gewisse Etwas
Ich liebe Dich, verdammt noch mal


Die Schritte des Bären ließen den Boden zittern und er platze mitten in den Raum und brüllte:

„Ich liebe Dich, verdammt noch mal!“

 Das gewisse Etwas stand mitten im Raum, erblickte ihn und zuckte erschreckt zusammen. Das gewissen Etwas erwiderte leise:

„Kannst du das nicht anders sagen?“

 Der Bär rollte die braunen Augen rundherum und kratzte sich den Kopf während er wortlos aus dem Zimmer tappte.

 Fünf Minuten später klopfte es.

 „Herein!“ Sagte das gewisse Etwas, so öffnete sich mit einem Knarren vorsichtig die Türe.

 Der Bär drehte sich verlegen auf seinen Tatzen hin und her. Sein Blick war gesenkt und er war ganz, ganz schüchtern. Da schluckte er mühsam und mit leiser Stimme sagte er: „Äh, ich wollte sagen, ich meine ich wollte fragen, ich wollte eigentlich nur sagen, daß, na daß, na eben daß ich Dich, also...ich liebe Dich!...“

Das gewisse Etwas sah liebevoll auf den Bären und vor allem auf die zarten kleinen Schweißperlen auf seiner Bärenstirn. Dann lächelte es glücklich.

 Der Bär war ganz angespannt und mußte tief einatmen. Dann drehte er sich abpruppt um und verließ das Zimmer. Er hielt die Spannung einfach nicht mehr aus, er mußte raus hier!

„Es liebt mich nicht! „ Schluchzte er dabei plötzlich ganz laut! Es liebt mich nicht! Ich werde nicht geliebt!“

 Das gewisse Etwas sah dem Bären verdutzt hinterher und seufzte dann tief.

 Erst einige Tage später, nachdem sich der Bär in einigen Kneipen betrunken hatte, mit Sauffreunden auf die Liebesunfähigen dieser Welt anstieß und viele Stunden im verdunkelten Zimmer zugebracht hatte. Hatte sich der Rausch wieder aus seinem Hirn geschlichen. Er stand auf und ging schnurstracks zum gewissen Etwas.

Er hatte sich in seiner stattlichen Größe hoch aufgerichtet, und als das gewisse Etwas die Türe öffnete sah er geringschätzig auf es herab. „Ich liebe dich, na und?“ sagte er grob. Mit einem vernichtenden Blick drang er tief in die Augen des gewissen Etwas ein. In der Sekunde, in der er sah, daß das gewisse Etwas den Blick erwiderte, riss er sich herum und verschwand. Jetzt hatte er den vollkommenen Sieg auf seiner Seite. Das reichte ihm ab jetzt für alle Ewigkeit.

 Die Tage vergingen, der Bär hatte sich in die Arbeit gestürzt. Endlich blickte er auf. Dann nickte er. Nach alldem was passiert war hatte der Bär noch etwas Wichtiges zu erledigen.

Er stand auf und ging in großen Schritten zum gewissen Etwas. Er klopfte, nicht zu laut und nicht zu leise, er hatte es genau im Griff! Das gewisse Etwas öffnete. „Guten Tag!“ Sagte der Bär kühl, „ich möchte Dich darauf hinweisen, daß ich Dich liebe.“ Damit beendete er seinen Aufenthalt an diesem Ort und ging erhobenen Hauptes davon. Denn er war nun endlich der König-Bär, der seine Gefühle im Griff hatte.

 Wieder vergingen viele Tage, mal drängte es den Bären nach draußen und der Bär betrank sich; drückte sich in Gaststätten herum. Am Tage arbeitete der Bär dann wieder für viele Tage fleißig. Der Bär fluchte wenn ihm die kleinste Kleinigkeit schief ging und der Bär sehnte sich irgendwann einfach nur noch nach dem gewissen Etwas, denn er fand sein Leben einfach nur noch trist. Da fing er schluchzend an zu weinen, „mir ist langweilig, mir ist soooo langweilig“ weinte es aus ihm heraus und er vergrub seinen Kopf in seinen dicken flauschigen Tatzen.

Mühsam richtete er sich auf und er schlurfte in endlosen lahmen Schritten kraftlos mit hängenden Armen zum Haus des gewissen Etwas. Müde klopfte er an der Türe, gottergeben hing sein großer Schädel tief auf der großen Bärenbrust. Als sich die Türe öffnete sagte er: „Ich gebe auf, ich liebe dich!“

 Das gewisse Etwas sah ihn an und lächelte. Lange standen sie sich gegenüber. Irgendwann wurde es dem Bären kühl, denn die Abendsonne war mittlerweile verschwunden und er konnte nur noch die Schemen vom gewissen Etwas erkennen und Hunger hatte er auch.

„Jetzt muß ich erst mal für mich sorgen“ Dachte er und verabschiedete sich freundlich von dem gewissen Etwas um das auch zu tun.

Der Bär dachte: „  Auch wenn ich keinen Schritt weiter gekommen bin, ist eigentlich viel passiert! Denn ich kann jetzt arbeiten und ich kann mich vergnügen, ich kann für mich sorgen und auf mich aufpassen und ich kann gut zu mir sein. Ich kann jetzt gehen wohin ich will und ich kann jetzt auch wiederkommen, denn ich habe ein eigenes kleines Zuhause. Und von all den Dingen die ich nun gelernt habe und erfahren habe, ist das Lieben das Schönste von allem. Hat mich die Wut auf die Liebe, die Lust auf die Liebe, der Zorn über die Liebe und auch das Unterdrücken der Liebe doch bei allem begleitet! Sagte es und kaute einige Sekunden nachdenklich auf seiner Unterlippe. Ich kann also wütend lieben, ich kann demütigend lieben, ich kann verzweifelt lieben, ich kann sachlich lieben, aber all das trifft meine eigentliche Liebe wundersamerweise nicht. Außerdem habe ich gelernt, dass ich meine größte Sehnsucht, meine tiefste Liebe nie in meinem Leben erfüllt bekomme. Ob das wirklich stimmt? Und wie könnte ich meine Liebe überhaupt ausdrücken? Wie liebe ich ganz und gar? Wie liebe ich, wenn ich nicht im Zorn liebe, wenn ich nicht in Verzweiflung liebe, wenn ich unter meiner Liebe nicht leide, wenn ich weder das gewisse Etwas mit meiner Liebe erschlage noch sie dem gewissen Etwas vor die Füße werfe, noch dem gewissen Etwas meine Liebe entziehe. Mal ganz ehrlich, was macht man eigentlich mit so einer Liebe? Wie kann man eigentlich einfach lieben?

Da mußte der Bär seinen schwer gewordenen Kopf mit beiden Händen stützen und lange durch das offene Fenster sehen, denn das war eine Frage, die bis zum Horizont reichte und heimlich den Rand der Unendlichkeit küßte.

Und jetzt, wo mir nach all den vielen Geschehnissen so langweilig geworden ist, was nun?

Ich habe keine Lust mehr zornig zu sein, ich habe keine Lust mehr um meine Liebe zu kämpfen, ich habe keine Lust mehr mich selbst zu behaupten. Alleine frei sein ist auf Dauer auch langweilig! Und er kaute zu Abwechslung nicht mehr an seiner Unterlippe sondern an dem dicken Buntstift, der immer auf seinem Schreibtisch lag.

Vielleicht, dachte der Bär, könnte ich ja mal fragen was andere so machen und wie es Ihnen geht. Mit anderen meinte er vor allem das gewisse Etwas. So spazierte der Bär in einem schönen Spaziergang in der Abendsonne zum gewissen Etwas, klopfte an die Tür, sagte Guten Tag und sah das gewisse Etwas genauer an, wie es so da stand und was es so ausstrahlte.

„Ich liebe dich! Sagte Bär, „und Du, was machst Du so?“

Das gewisse Etwas lächelte, „ich habe den ganzen Tag im Garten gearbeitet und bin ganz schön müde, sagte es, „und lieben tue ich Dich auch!“

Da seufze der Bär glücklich, nie zuvor hatte er diese Worte an sein Herz lassen können. Und sie standen beieinander in einer friedlichen Stille. Das gewisse Etwas seufze jetzt auch, während sie sich warm und freundlich ansahen..

„Ich würde gerne mit Dir zusammen zu Abend essen!“ sagte der Bär zum gewissen Etwas und sah ganz vorsichtig auf, um das gewisse Etwas damit nicht zu überfahren.

„Das ist eine gute Idee!“ sagte das gewisse Etwas, "weißt Du manchmal ist mir nämlich ziemlich langweilig so alleine." Und der Bär staunte bei diesen Worten. Er hatte ja gedacht, daß nur er einsam sein könnte, daß nur er, der einzige Bär auf der Welt, alleine innig und vergeblich lieben könnte.

„Weißt du eigentlich, wie man liebt?“ fragte der Bär leise das gewisse Etwas.

Das gewisse Etwas wiegte seinen Kopf ein wenig hin und her, dann sagte es:“ Als Kind habe ich das Lieben in und auswendig gelernt. Dann habe ich später viele Geschichten gehört, wie sich das Lieben gehört,“ und dann sagte es fast flüsternd, „habe ich auch viel nachgedacht, wie das Lieben denn richtig sei und wie es falsch sei.  Ich glaube Liebe ist in der Wahrheit Zuhause. Die Liebe muß auf die Wahrheit warten, wenn sie den Zeitpunkt vergessen und sich ein bißchen verspäten sollte. Wenn ich die Wahrheit über mich und über den anderen erkennen kann, geht der Weg endlich weiter. Auf diesem Weg ist nichts mehr vergeblich. Hier brauchen und wollen das Ich und das Du die Liebe." Schloß das gewisse Etwas. Dann sah es den Bären an und sagte: „Ich brauche Dich! Denn ich möchte endlich auch meine Liebe leben."

„Ich auch," sagte der Bär und das gewisse Etwas öffnete weit die Türe des Hauses und der Bär trat vertrauensvoll ein.

 Annette Scharfenort